„Aber der hat keine Angst“ – das notwendige Erstgespräch

Oft ist der Grund für HundebesitzerInnen, mich zu kontaktieren, (beginnendes Angst-) Aggressionsverhalten. Manche sind überrascht, unter Umständen nicht gleich mit dem Training beginnen zu können oder gar, dass ich ihnen den Hund nicht ‚abrichte‘, sondern vorerst ’nur‘ einen Termin für ein Erstgespräch bekommen. Dabei wird hier oft die Grundlage für Erfolg oder Misserfolg gelegt, denn es gilt, so einige veraltete Mythen (Dominanz und Rangordnung) aufzuklären.

 

Im Fall von Angstaggression erkläre ich unter anderem Folgendes:
  • Sozialisation: Hund bekommt Angst (und Stress) in – aus menschlicher Sicht – Normalsituationen, weil er zu wenig oder negativen ‚Input‘ in dieser wichtigen Lebenssphase bekommen hat
  • Lernerfahrungen: Funktion von Aggressionsverhalten (‚Bleib weg‘, ‚Geh weg‘, ‚Lass mich in Ruhe‘) wird erreicht, Deeskalation davor/in der Vergangenheit erfolglos
 
Hier gibt es bereits einige Posts von mir über Aggressionsverhalten nachzulesen:
 
Manchmal passiert es, dass ich beim Erklären der Eskalationsstufen von Aggressionsverhalten unterbrochen werde:
„Mein Hund hat keine Angst, ist nicht unsicher. Er ist dominant, hat ja auch den Schwanz aufgestellt.“
Tja, das kann so aussehen, wenn der Hund schon Übung darin hat, sich durch Aggressionsverhalten Erleichterung zu verschaffen:
Er ist sicher in dem, was er tut. Sein Verhalten bringt schließlich den erwünschten Erfolg: Der ‚Mann mit Hut‘ beispielsweise, der vom Hund im Vorbeigehen bellend und kurrend angesprungen wird, entfernt sich schleunigst.
 
Die Verstärkung dieses Verhaltens beruht also eben nicht darauf, dass der Hund sich einen Vorteil ‚erhofft‘ – er möchte weder alle Menschen dominieren, noch die Person am anderen Ende der Leine ‚in der Rangordnung in Frage stellen‘.
Er will sich schlicht und einfach nicht mehr so unwohl fühlen oder fürchten müssen. Und da vorangegangene Versuche der Deeskalation seitens des Hundes nicht funktioniert haben, muss er notgedrungen seine Strategie ändern – und erklimmt die Stufen nach oben.Der Hund macht die – wahrlich einprägende – Erfahrung, sich durch Aggressionsverhalten zuverlässig ‚retten‘ zu können, was weiterführend bewirkt, dass körpersprachliche Anzeichen von Angst tendenziell mehr und mehr verschwinden: Der Hund weiß ja, dass Aggression funktioniert – mit jeder einzelnen Erfahrung wird er sicherer.
Und das in Riesenschritten: Etwas Unangenehmes oder Bedrohliches vermeiden oder vertreiben zu können, ist evolutionsbiologisch äußerst wichtig – unter Umständen überlebenswichtig.
 
Auf diesem Foto sieht man sieht deutlich die Unsicherheit in der Körpersprache eines Hundes im Tierheim. Hier beweist ihm eine Praktikantin, dass es keinen Grund zur Sorge gibt, sie bringt ihm gute Leckerlis und überfordert ihn nicht. Er lernt, dass Menschen am Gitter eigentlich nett sind. Würde ihn die Person vor dem Gitter anstarren, also aus seiner Sicht bedrohen, wäre er vermutlich bellend und knurrend an die Tür gesprungen. Geht die Person dann, lernt der Hund, wie er sich Menschen ‚vom Hals halten‘ kann.Es ist wichtig, dass HundebesitzerInnen wirklich verstehen, weshalb ein Hund sich unerwünscht verhält. Dies zu erklären braucht Zeit, die aber notwendig ist: Jemand, der insgeheim denkt, der Hund sei dominant, wird ein gewaltfreies, auf positiver Verstärkung aufbauendes Training im ungünstigsten Fall abbrechen und zu ‚logischeren‘ (und einfacheren, aber gefährlichen und tierschutzrelevanten) TV-Methoden wechseln.
Dabei sollte das Motto doch lauten: Trainieren statt dominieren! Gut erklärt, ist halb trainiert… 🙂