Hunde vermenschlichen – ein Problem?
Dieser Artikel wurde unter folgenden Titel auf http://www.huffingtonpost.de/ursula-aigner/hunde-vermenschlichen-erziehung_b_5205808.html veröffentlicht:
Mäntel, Spielzeug, Gourmetfutter: Wie weit dürfen wir Hunde zu Menschen erziehen?
„Rangordnung vs. Verweichlichung“ – „Natur des Hundes vs. böse Vermenschlichung“- das sind wohl DIE gegensätzlichen Glaubenssätze in der Hundewelt.
Liegt die Wahrheit in der Mitte? Im Durchschnitt – „Von allem ein bisschen“, „Jede Seite hat Recht“?
Wie in vielen anderen Bereichen auch gibt es bei solchen Rechnungen keine Verbesserung: Wenn die Hälfte der Menschen ein Kilogramm Brot täglich zur Verfügung hat, die andere Hälfte jedoch nichts, bedeutet das eben NICHT, dass alle ein halbes Kilogramm tatsächlich essen können.
Ich kann hier lediglich auf ein paar ausgewählte Bereiche eingehen, um zu zeigen, dass nur ein Ansatz im Umgang mit dem Lebewesen Hund gesellschaftlich adäquat, moralisch und ethisch vertretbar und wissenschaftlich fundiert ist.
1. Der Hund als Ersatz für (zwischen-)menschliche Lücken?
Hunde sind hochsoziale, (mit-)fühlende, intelligente und bindungsfähige Lebewesen, die sich im Laufe der Domestikation an ein Leben mit Menschen angepasst haben und sie sind kognitiv vergleichbar mit menschlichen Kleinkindern. Daher ist eine sehr enge Beziehung und Bindung zwischen Mensch und Hund etwas Wünschenswertes.
Eines sollten wir jedoch nicht vergessen: Hunde sind trotz allem Hunde und keine kleinen Menschen in Hundegestalt. Daher ist es IMMER – unabhängig von der Hunderasse – notwendig, sich mit Hundeverhalten und hundlichen Bedürfnissen auseinanderzusetzen. Schließlich sollte die Gemeinschaft Mensch-Hund eine Win-win-Situation sein. Wenn diese Win-win-Situation für den Menschen den Vorteil bringt, eine/n FreundIn zu haben, die eine tiefe Verbundenheit mit sich bringt UND der Hund dabei glücklich ist – wunderbar!
Wenn diese Win-win-Situation für den Menschen den Vorteil bringt, ihr/sein Bedürfnis zu befriedigen, sich um jemanden zu kümmern UND der Hund dabei glücklich ist – wunderbar!
Wenn diese Win-win-Situation für den Menschen den Vorteil bringt, eine/n verlässliche/n PartnerIn für Freizeitaktivitäten zu haben UND der Hund dabei glücklich ist – wunderbar!
Abzulehnen ist selbstverständlich die Anschaffung eines Hundes, der als Mode-Accessoire missbraucht und wie eine Tasche behandelt wird. Auch menschliche Individuen, deren Finanzen ein teures Auto nicht erlauben, die sich aber dafür einen „scharfen“ Hund halten – und ihn dementsprechend hart behandeln -, um ihr Mini-Ego aufzubessern, sind zu verurteilen.
Daher:
Vermenschlichung im Sinne der Hunde: JA.
Hundehaltung, die aus einer Modeströmung erwächst oder die kleine Egos aufbessern soll: NEIN.
2. Manche Hunde tragen Mäntel – absolut unnatürliche Vermenschlichung?
Hunde haben durch künstliche (also vom Menschen verursachte) Zuchtauswahl sehr divergierende Erscheinungsbilder. Zudem leben sie in beheizten Räumen, was verhindert, dass sich ein entsprechendes Winterfell bildet. Vor allem manche kurzhaarige Rassen haben in der kalten Jahreszeit also nichts zu lachen. Dasselbe gilt für ältere Tiere, die ihre Energien nicht für Wärmeproduktion verschwenden sollten, im Sinne eines weiteren langen Lebens. Es hat daher grundsätzlich gar nichts mit „böser Vermenschlichung“ zu tun, wenn ein Hund einen Mantel trägt.
Ausgenommen sind natürlich Mode-Accessoires, deren Funktion erst erfunden werden muss, oder Kleidungsstücke, die den Hund in seinem natürlichen Verhalten behindern und/oder ihm unvorbereitet aufgezwungen werden. Also: zuerst informieren (was unter anderem bis zum Ende lesen und verstehen bedeutet) und dann urteilen!
3. Natürliche Hundeernährung?
Der Hund stammt vom Wolf ab. Der Wolf frisst Beutetiere samt deren Mageninhalt. Daher tendieren Hunde, wie auch Wölfe, schon mal eher in Richtung Allesesser (Omnivore) – viel mehr als unsere Hauskatzen, die die Innereien eher liegen lassen.
Hunde sind jedoch keine Wölfe mehr. Sie haben sich im Zuge der Domestikation (Haustierwerdung) mit großer Wahrscheinlichkeit unter anderem freiwillig der menschlichen Gesellschaft angeschlossen und die Vorteile davon genossen: Die Nahrungsreste der Menschen waren gute, nahrhafte und einfache „Beute“. Und Überraschung: Die Nahrungsreste bestanden nicht unbedingt aus Fleisch.
Daher: Die Versorgung mit notwendigen Nährstoffen ist sowohl mittels rein pflanzlicher Quellen als auch „herkömmlich“ möglich. Die Gesundheit unserer Hunde hängt nicht davon ab, ob die Inhaltsstoffe tierlicher oder pflanzlicher Herkunft sind, sie müssen den Bedürfnissen der Hunde angepasst sein. Wenn also über Ernährung von Hunden diskutiert wird, dann bitte auf einem höheren Niveau und nicht über „Glaubenskriege“.
Dasselbe gilt im Übrigen auch für Fertigfutter vs. Frischfütterung/Kochen für den Hund: Es gibt hochwertiges Fertigfutter, das selbstverständlich einer einseitigen Frischfütterung überlegen ist, genauso wie minderwertige Produkte, in denen Abfälle der menschlichen Nahrungsmittelproduktion verarbeitet und teuer verkauft werden.
4. Korrigieren, dominieren, Rangordnung klarstellen, bestrafen statt belohnen?
Manche Ewiggestrige sehen den Hund ausschließlich als Rudeltier, das sich einem Führer natürlich unterordnet, wenn sich dieser nur entsprechend dominant behauptet. „Dominant behaupten“ heißt hier meistens, den Hund mit Zischlauten, Leinenrucks, Alpha-Würfen von unerwünschtem, aber durchaus natürlichem Verhalten abzuhalten. „Korrektur“ wird das dann beschönigend genannt.
Selbst wenn diese Korrektur auch nur irgendwie tierschutzgerecht wäre oder effektiv erscheint, lernt ein Hund dadurch nicht, was er eigentlich tun soll oder könnte. Allein die Tatsache, dass derartige Korrekturen immer und immer wieder notwendig sind (und häufig immer heftiger ausfallen, sobald die „mildere“ Korrektur ihre Wirkung verfehlt), oder zumindest die Androhung dieser – ein warnender Blick z.B. -, sollte doch schon Hinweis genug sein, dass diese Methode nicht nachhaltig ist.
Das Resultat eines solchen „Trainings“ ist lediglich ein Hund, der aufgehört hat, sich zu wehren und unter Umständen sogar in einen depressiven bis lethargischen Zustand verfällt. „Gut abgerichtet“, würden manche „KollegInnen“ sagen. Viele TrainerkollegInnen, WissenschafterInnen und ich sagen dazu „erlernte Hilflosigkeit“. Dabei verschwindet das – im wahrsten Sinne des Wortes – bekämpfte Fehlverhalten, doch der Hund wird ein Ventil für seine aufgestauten Gefühle suchen müssen: Stressbedingte Erkrankungen, andere Verhaltensauffälligkeiten wie Stereotypien, etc.
In diversen TV-Shows wird ein Hund, der nach einem langen Kampf mit dem selbsternannten Hundetrainer regungslos am Boden liegt, als „entspannt“ bezeichnet. Der Hund ist jedoch in Wirklichkeit alles andere als das: „Vor Angst nach Luft ringend und völlig erschöpft“ wäre noch immer eine beschönigende Formulierung dieser Tierquälerei.
Es entzieht sich meiner Vorstellungskraft, wie eine derartige Empathielosigkeit seitens aller beteiligten Menschen (auch der leichtgläubigen ZuseherInnen!) zustande kommen kann: Die Augen derart behandelter Hunde sind vor Angst weit aufgerissen, die Atmung ist schnell und flach und nicht ruhig, wie es ein tatsächlich entspannter Hund zeigen würde.
5. Verhundlichen des Menschen als Lösung?
„Hunde untereinander sind auch nicht zimperlich.“, „Hunde bestrafen sich gegenseitig auch.“ – Das oder Ähnliches hört man immer wieder als Legitimation für mehr oder minder harte Bestrafungen oder Korrekturen.
Erstens gehen Hunde Konfrontationen primär aus dem Weg und zweitens sind wir MENSCHEN, keine Hunde. Des Weiteren habe ich auch noch keinen Hund erlebt, der einem anderen Hund Leinenführigkeit beibringen wollte. In diesem Sinne für die unverbesserlichen BesserwisserInnen: Viel Spaß bei der Ano-Genital-Kontrolle und beim Revier markieren! Wenn schon, denn schon!
Es muss doch unser Ziel sein, unseren Hunden zu helfen, erwünschtes und gesellschaftlich sicheres Verhalten zu zeigen – ob der vielen Unnatürlichkeiten im Leben unserer Hunde AUCH mit Leckerli-Belohnung! Allein schon die Geräuschkulisse in unserem Großstadtleben hat sich sehr schnell sehr stark verändert, verglichen mit den Umweltreizen zu Zeiten der Domestikation. Das ist von einer Natürlichkeit aus „Hundesicht“ weit entfernt.
6. Positive Verstärkung – Degradierung zum Futterautomat?
Selbstverständlich nicht. Der gezielte Einsatz von Futter- oder anderen Belohnungen ermöglicht dem Hund in kleinen positiven Lernschritten, sich im Dickicht der menslichen Regeln zurechtzufinden.
Stellen wir uns einmal vor (als EuropäerInnen), plötzlich in Peking alleine auf der Straße zu stehen. Wir kennen weder die Schriftzeichen, noch verstehen wir ein gesprochenes Wort. Ich denke, wir wären sehr dankbar, wenn sich jemand uns annehmen würde, der in kleinen, verständlichen Schritten erklärt, was wichtig ist, damit wir uns verständigen können.
Jemand, der uns bei jedem falschen Wort – und es kann nur falsch sein! – bestraft, wird uns bestimmt zur Verzweiflung bringen. Selbst wenn die Strafe nur ein Korrekturwort (nämlich „falsch“) wäre, also nichts Bedrohliches oder Schmerzhaftes, wird uns das Gefühl der Frustration früher oder später äußerst lernunwillig machen.
Manche sagen auch „stur“ dazu … Klingelt’s? Sie kennen bestimmt viele Hunde, die total „stur“ einfach nicht das tun, was sie tun sollen. Schon mal darüber nachgedacht, dass sie vielleicht noch gar nicht wissen, was sie überhaupt tun sollen? Oder dass es andere Gründe außer „Sturheit“ geben kann, weshalb ein Hund nicht sofort unsere Gedanken lesen kann?
7. Muss man dann immer mit Leckerlis belohnen?
Nein, aber man kann, da fällt mir auch kein Zacken aus der Krone. Warum auch nicht, wenn mein Hund daran eine Freude hat, habe auch ich eine Freude damit (meine Hunde sind im Übrigen schlank und pumperlgesund). Aber es gibt auch genügend andere Möglichkeiten, einen Hund zu belohnen oder ihn glücklich zu machen.
Merkwürdig erscheint mir überhaupt, dass die Frage recht häufig ist: „Wann kann man aufhören mit den Belohnungen?“ Wieso sollte ich aufhören, meinem Hund Anerkennung, Zufriedenheit und Glück zu bescheren? Neben der Tatsache, dass es für unsere harmonische Beziehung förderlich ist?
Interessanterweise stellt kaum jemand die Frage: „Wann kann ich mit bestrafen/korrigieren aufhören?“… Weshalb? Weil die Begründung ja so „logisch“ ist: Der Hund möchte halt noch immer die WeltHERRschaft an sich reißen. Welch veraltetes Halb-Wissen (abseits der Macho-Allüren übertragen auf unschuldige Hunde; allein deshalb schon abzulehnen!).
Die Theorie der starren Rangordnung, bei der der „Dominante“ immer aufpassen muss, dass er nicht vom „Subdominanten“ überfallen und gestürzt wird, stützt sich auf Konfrontationen, die bei Wölfen in Gefangenschaft beobachtet wurden. Was sagt uns das über Hunde? Gar nichts, da Hunde längst keine Wölfe mehr sind. Und selbst die Schlussfolgerung Wölfen gegenüber ist inkorrekt, denn eine natürliche Wolfsfamilie hat mit einem willkürlich zusammengewürfelten Haufen an Wolfindividuen auf zu engem Raum nichts zu tun.
Fazit: Alles, was Hunde gerne tun/mögen, kann als Belohnung angeboten werden: Schnüffeln, Spuren suchen, spielen, laufen, Aufmerksamkeit, … und natürlich auch Essbares.
Daher individuell auf die Bedürfnisse und Vorlieben des jeweiligen Hundes eingehen statt vermeintliche Pauschallösungen aufzwingen!
Vermenschlichung bedeutet für mich, Hunde und deren Gefühlswelt ernst zu nehmen. Denn wir Menschen sind verantwortlich dafür, ob es unseren Hunden gut oder schlecht geht. Hunde haben keine Wahl und lieben zumeist ihre Menschen – bedingungslos. Diese bedingungslose Liebe verpflichtet uns als vernunftbegabte und empathiefähige Menschen, dafür zu sorgen, dass es unseren Hunden gut geht und sie glücklich sind!